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Eine Gemüsegartengeschichte

Annett Wolf

Eine Gemüsegartengeschichte (Kurzgeschichte)

Ein besonders verregneter Sommer inspirierte mich, die folgende Geschichte zu schreiben.

Erst, als diese seltsamen Splitter in der Wanne auftauchten, habe ich mir Gedanken gemacht. Wo kommen die her? Warum sind immer wieder neue da, obwohl ich sie weggeräumt habe? Eine Zeitlang dachte ich, es wäre Kalkstein. Aber ich bin ein sehr ordnungsliebender Mensch. Ich putze – ja ich bin ein putzender Mensch, der sein Nest sauber hält, der alles entfernt, was zur großen, unfassbar vielfältigen Welt der Beläge und Stäube und eben Kontaminationen gehört. Dann dachte ich, es sei vielleicht eine bemerkenswerte Reaktion eines Putzmittels mit etwas, das entweder im Wasser war oder sich beim Baden von mir ablöste. Was sich schließlich als verwirrende Tatsache herausstellte. Es fing eigentlich schon an, als ich mich nicht mehr richtig trocknen konnte. Immer war da dieser Film auf meiner Haut. Eine Feuchtigkeit, die ich inzwischen als sehr angenehm empfinde. Erst hat sie mich wahnsinnig gemacht. Auf der Suche nach der Ursache dieser Unwahrscheinlichkeit habe ich viel über die Beschaffenheit von Frottee gelernt. Ich kenne mich inzwischen wirklich gut aus mit verschiedenen Fadenschlingentypen und Webtechniken.


Eines Tages wurde es Zeit, mich des Problems auf meiner Rückseite zu stellen. Ich konnte es nicht mehr ignorieren, weil es mich längst auch beim Schlafen störte. Da wuchs etwas. Den Blick in den Spiegel hatte ich lange vor mich hergeschoben. Man kennt das. Oder man kennt das nicht. Es ist ein Hoffen, das sich der Normalzustand von allein einstellt, wenn man lange genug so tut, als sei nichts. Der Tag, an dem ich erkannte, was wirklich mit mir los war, lag noch in einiger Ferne. Trotzdem werde ich den Blick in den Spiegel als einen unvergesslichen Moment und Startpunkt einordnen. Ich meine, immer dann, wenn ich auch künftig den gesamten Prozess wieder und wieder gedanklich entlang gleiten werde. So, wie ich es schon unzählige Male getan habe.


Inzwischen weiß ich einige Dinge. Dinge, die ich mir mühsam erarbeiten musste. Tatsachen, die verantwortlich sind für das, was aus mir geworden ist. Es war in diesem verregneten Sommer. Der Gemüsegarten hatte sich in einen Dschungel verwandelt. Voller Bedauern gab ich ihn auf, überließ ihn den rankenden Naturkräutern und Schnecken. Ab und zu holte ich mir das, was sie noch nicht erwischt hatten oder was sie mir gnädig überließen. An allem haftete ihr Schleim, den ich kaum abgewaschen bekam. Angeknabberte Salatblätter, zerfleischte Tomaten, durchlöcherte Kohlrabi – diese Ernte sollte mir nicht nur bittere Nahrung sein. Sie lieferte mir auch den Beweis, dass diese Welt ein Ort ist, an welchem fantastische und unglaubliche Dinge geschehen. Die ersten Anzeichen, dass etwas nicht stimmte, waren leichte Übelkeit nach dem Verzehr des Gemüses und ein starker Schwindel. Lebhafte Träume und nächtliche Schweißausbrüche kamen hinzu. Ich nahm an, es sei eine harmlose Erkältung. Doch am Tage ging es mir so gut, wie sonst auch. Dann veränderte sich mein Aussehen. Es geschah so unmerklich, dass es zunächst kaum auffiel. Erst wurde meine Haut blass, dann veränderte sich die Farbe langsam zu einem beigen Ton. Das zarte Muster darauf erschien über einen wochenlangen Zeitraum, so dass ich es erst wahrnahm, als ich es auf einem Foto von mir entdeckte. Es sieht inzwischen aus, wie eine Netzstruktur. Als mir die Haare ausfielen, erlitt ich einen ersten Zusammenbruch. Ich wagte inzwischen nicht mehr das Haus zu verlassen. Niemand sollte mich so sehen.


Man wird sich fragen, warum ich keinen Arzt aufsuchte. Das ist einfach zu beantworten: Ich fühlte und fühle mich gut. Auch, wenn ich nicht mehr aussehe, wie ich, wie andere mich kennen. Es geht mir sogar so gut, wie niemals zuvor in meinem Leben. Eine Kraft fließt durch meinen Körper. Ich habe das Gefühl, mich auszudehnen. Ich nehme Dinge wahr, die ich zuvor nicht bemerkt habe. Gerüche, wahre Duftwelten, die mich locken, sie zu betreten. Geräusche, aber auch Geschmacksnuancen, die mir bisher vollkommen fremd waren. Ein weiterer Grund spricht gegen einen Kontakt mit menschlichen Forschern: Ich wäre in ihren Augen ein Untersuchungsobjekt oder bestenfalls ein Monster, dem man Gefühle nicht gänzlich absprechen kann.



Und da die Veränderungen sich gnädig langsam vollzogen, konnte ich dieses eigentümliche Schicksal akzeptieren. Längst habe ich das alte Leben zurückgelassen. Die Wände, die auf meinem Rücken immer weiterwachsen, sind mir zur neuen Wohnstatt geworden. Die elfenbeinernen Windungen passen so gut zu dem wendigen Leib. Ich liebe die Glattheit und Sauberkeit dieses neuen Nests. An Manches erinnere ich mich nicht mehr. Zwar weiß ich noch die Worte, aber ich weiß nicht mehr, was sie bedeuten. Was ist zum Beispiel Rauheit? Wie fühlt sich etwas an, das kratzig ist? Hingegen habe ich nun eine erweiterte Kenntnis über das Gleiten sowie über die Beschaffenheit von Schleim. Auch kann mich nichts mehr auf Erden zur Eile treiben. Höchstens gewisse Aromen. Neuerdings mag ich, wie Gemüse duftet, Sekunden, nachdem Wachstum in Vergehen mündet. Dann schmeckt es am besten.

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